Silke Peters: Nördliche Verortung. Ute Gallmeister
— Sehen wir uns ins Gesicht. Wir sind Hyperboreer, — wir wissen gut genug, wie abseits wir leben. „Weder zu Lande, noch zu Wasser wirst du den Weg zu den Hyperboreern finden“: das hat schon Pindar von uns gewusst. Jenseits des Nordens, des Eises, des Todes — unser Leben, unser Glück…
Ein Nietzsche-Zitat am Anfang meiner kurzen Zurede für Ute Gallmeisters Bilder und Zeichnungen. Ich zweifle, ich streiche herum, ich antworte dem Titel: „Nördliche Verortung“. Ich setze dies, ich entscheide. Wir können das Pathos mit dem er spricht heute nicht mehr empfinden. Aber seine wunderbar rhythmisierte Prosa können wir noch hören. Ich nehme mir die Hyperboreer als Chiffre für künstlerisches Tun und Leben, die Einsamkeit die man dabei in sich erforscht und schaue mich um, zwinkere, wir wissen ein wenig hiervon und feiern dies.
Das Problem des Idylls geht im Land um bei Ausstellungsmachern und Marketingexperten. Solange ich danach die Augen aufhalte hier und anderswo ist Anklam der Prototyp eines solchen Ortes. Es ist ein Hyperborea, oder es liegt nördlich von Berlin, Dunkelblau und Ocker.
Dieser Bild-Ort den uns Ute vorführt ist nicht leicht zu erreichen.
Als Hilfe bietet sich ihr zeichnerischer Blick an. Er ist aufgeräumt und ausgeruht, langsam und schnell zugleich, er ist auf Struktur und Rhythmus aus. Und wenn ich das Glück habe lange vor einer ihrer Arbeiten zu sein, ist das immer die Entdeckung meines eigenen Sehens, das ungeübter ist, holpriger und ihr in der Entdeckung langsam nachfolgt.
„Die Sprache ist ruhig, ist die Dünung im Meer, kein Wind fern aller zwölf Richtung ist das Wind-Gesicht des Boreas ist Nord nördlich dich ein.“ Das ist meine Zueigung für Ute für den Umgang mit Landschaft, für das Landschaftsbild.
Das Sehen ist bei Ute Gallmeister ein panoptisches, ich muss alles sehen, alles was der Fall ist. Die Landschaft ist unter dauernder Beobachtung, die Zeit überschreibt die andauernde Beobachtung. Und die Zeit scheint die Farbe auszumachen, sie ist gefärbt, wie ein Wochentag bei einem Synästhetiker. Ein grauer Sonntag phantasiere ich mal. Wann bleibt die Überschreibung stehen die Übermalung, ein magischer Moment der Gewissheit, an dem das Bild auszuhalten ist.
So wie in einem Gedicht automatisch nach einem Sinne gesucht wird, den der Text aber abweist, sucht mein Auge nach einem Windrad oder einer Möwe und ich werde abgewiesen mit der Erkenntnis, ja es gibt Windräder, ja es gibt Möwen. Sie sind grundsätzlich möglich. Aber es gibt nur dieses Zugeständnis, dieses Vielleicht, das sich unserer so trainierten Aufmerksamkeit schuldet. Darin hinein entspannt sich mein Sehen. Das Bild wird so still, es wird ein Meditationsobjekt. Es zeigt mir die inneren Zonen meiner Farbigkeit.
Die panoptische Idee verdankt sich hier nicht dem Gefängnisgebäude sondern dem Fliegen, wohin diese Idee ja abgewandert ist und die so sehr an dem Ort Anklam ankert.
Der Inhalt eines Mediums ist immer ein anderes Medium..
Sagt Mc Luhan
Die Bilder Ute Gallmeisters sprechen mit Fotographien, wie vielleicht die gesamte Bildgeschichte seit dem Entstehen der Fotographie tut dies. Das Foto erläutert seine näheren Umstände nicht, sagt K.H. Bohrer. Und das ist es auch was die Bilder von Ute in einer verschärften Weise tun. Sie halten Zwiesprache mit den fotographischen Erkundungen der Malerin. Die bunten Grautöne der Fotos spiegeln sich in den Grauflächen der Malerei und sagen der Fotographie der Graustufen ihren Gruß. Es ist eine Kritik des Sehens und auch des gesehen Werdens, denn die Bilder schauen zurück.
Die Illusion der Perspektive entgegen steht die reine Zwei-Dimensionalität des Fotos.
So erzeugen die Bilder in dieser wieder Stimmung und Wärme, die dem kalten Medium Fotographie nicht zueignet.
Diese Gedanken entwickeln sich langsam wie in eine Camera obscura in mir, wobei ich auf eine New York Fotographie von Ute schaue, die reine Flächen zeigt und satte Farbwerte im Grau. Im bunten Grau, so wie es sich Ihnen heute Abend zeigt.
Was an einem Medium selbstverständlich ist, wird erst sichtbar, wenn es in einem anderen Medium zu Evidenz kommt.
Wolfgang Ernst. Medien-Archäologie, Skript